Both Sides

Gerade hat Rom für mich etwas von seinem Glanz verloren. Das liegt einerseits daran, dass Anne am Freitag wieder abgereist ist, hängt aber auch mit den heutigen Erlebnissen zusammen.

Aber beginnen wir mit dem gestrigen tollen Abend: Vic, eine der zahlreichen Französinnen, hatte zusammen mit ihrer spanischen Mitbewohnerin Nerea zum internationalen Dinner eingeladen, bei dem es Köstlichkeiten aus Griechenland, Frankreich, Spanien (und Mallorca) und natürlich Italien gab. Es hat vorzüglich geschmeckt und ich habe natürlich immer noch gegessen, als alle anderen schon längst fertig waren…Anschließend waren wir im „Rialto“, einem angesagten Club im Zentrum Roms, der sich in einem alten Schulgebäude befindet und in dem Actionpainting, abgefahrene Videoinstallationen und viel elektronische Musik geboten wurde. Zu dritt haben wir schließlich getanzt, bis außer uns und den DJs kein anderer mehr im Raum war. Ungeklärt blieb, ob das an der kompromisslosen Musik oder an unserem Tanzstil lag.

Heute Nachmittag bin ich dann durch mein Viertel Centocelle gezogen, um es besser kennen zu lernen. Es war vor einigen Jahrzehnten noch etwas verrufen, ist mittlerweile jedoch von der Mittel- und der mittleren Oberschicht erobert worden. Ich bin bis in das nächste Viertel, Prenestina gelaufen, wo ich mir ein linkes Jugendzentrum angesehen habe, in einem alten Burggebäude gelegen, in dem nachts auch dunkle Electro-Partys stattfinden. Anschließend habe ich einen Aushang gesehen, der einlud zu einer Art „Tag der offenen Tür“. Spannend wurde es, als ich heraus fand, dass es sich bei dem Ort „Casilino 900“ um ein in meiner Nähe gelegenes Romacamp handelt. Es war einer der seltenen Male, dass dieses Gebiet öffentlich für andere zugänglich war und dies sollte dazu dienen, den Kontakt zu den anderen Bürgern zu verbessern und zu zeigen, in welchen Verhältnissen die „Nomadi“ dort leben:

In Wohnmobilen, Autos oder Holzhütten ohne fließendes Wasser oder Stromleitungen, einzig ein paar Generatoren ermöglichen die Stromversorgung.Seit Jahrzehnten versprechen Politiker Verbesserungen, es hat sich jedoch bislang nichts getan.Als Abschlussarbeit eines Architekturstudenten wurde an diesem Tag eine Holzhütte eingeweiht, in dem von nun an zwei Familien wohnen sollen. Vor dem Bau traf ich schließlich auch einige der ERASMUS-Studenten, mit denen ich am Vorabend beim Cena gespeist hatte. Als Architekturstudenten waren sie von ihren Professoren eingeladen worden, sich dieses Gebiet einmal anzusehen. Auf meinem Weg über das Gelände kam ich schließlich mit Frederico ins Gespräch, einem Zigeuner, der ursprünglich aus Jugoslawien stammt, fünf Jahre in Hamburg gewohnt hat und ansonsten seit 40 Jahren mit 9 Kindern auf diesem Gelände wohnt. In unserer Unterhaltung, von der ich ca. 80% verstanden habe, schimpfte er zu ca. 80% auf die Italiener. Nach einem „Zigeuner-Caffè“ und seinerseits vermutlich einigen Bieren lud er mich in seinen alten Bulli einlud, um gemeinsam auf den hügeligen Gelände seinen Sohn Benjamin zu suchen, der 1985 in Hamburg geboren wurde und den er mir unbedingt vorstellen wollte. Wir fanden ihn jedoch nicht und zu dem Zeitpunkt war es auf dem Gelände bereits unglaublich kalt, so dass ich mich dann nach einer Viertelstunde und einem kurzen Gespräch mit einem anderen Studenten, schließlich auf den Heimweg machte.

Nachtrag: Meine Empörung über die dortigen Verhältnisse hat sich mittlerweile etwas relativiert, denn ich habe in den letzten Tagen viel mehr über die „Roma-Problematik“ erfahren. Auf einem Filmfestival (auf dem vier Tage lang Dokus, Kurzfilme und Spielfilme gezeigt wurden) habe ich etwa eine Reportage über ein Roma-Camp in Milano gesehen. Dort schien die Situation besser und auch das Gelände war deutlich sauberer, wobei sich mir die Frage stellte, inwieweit das dortige „Chaos“ in gewisser Hinsicht nicht auch kulturell bedingt ist. Schließlich liegt ja bspw. die (Un-) Ordnung auf dem Platz oder der Müll, auch in der Eigenverantwortung der Bewohner. Zudem habe ich diese Woche in der Zeitung gelesen, dass bei einer Razzia auf eben jenem Gelände zahlreiche Luxusgüter (etwa teure Autos) im Wert von weit über einer Millionen Euro entdeckt wurden. In einigen Gesprächen berichteten mir daraufhin einige Italiener, dass die Roma ihrer Ansicht nach kaum Versuche unternähmen, sich in die Gesellschaft zu integrieren, sondern ihre Außenseiterrolle vielmehr zu nutzen wüssten. Auch waren meine Gesprächspartner davon überzeugt, dass sich die Sinti und Roma vorwiegend durch Diebstähle ihren Lebensunterhalt sichern. Sie erzählten allerdings auch, dass sich bei vielen Italienern nach wie vor das Gerücht hielte, die „Zingari“ entführten Kinder, obwohl es seit mehreren Jahrzehnten keinen einzigen Vorfall gegeben habe. Dieses Thema finde ich jedenfalls absolut spannend und es wird hier derzeit, gerade nach der Durchsuchungsaktion der Polizei (auf italienisch: blitz) auch wieder verstärkt diskutiert.

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